Hugo wirft kurz einen Blick auf seine gefälschte Rolex. Es ist schon fünf vor drei Uhr! Es darf nicht sein, dass er jetzt zu spät kommt. Heute ist sozusagen sein wichtigster Tag in seinem Leben, der Tag, an welchem er ganz bestimmt nicht zu spät kommen darf. Heute muss alles perfekt sein, heute muss er sich von seiner besten, nein, allerbesten Seite zeigen. Stolpernd rennt Hugo weiter, immer daran denkend, dass der Bus um drei Uhr abfährt.
Mit verschwitzem Anzug, Schweissperlen auf der Stirn, steht er an der Haltestelle und sieht den Bus kommen. «Geschafft!» Er steigt ein und atmet dabei tief. Er ist es sich nicht gewohnt, so viel Stress zu haben. Normalerweise ist er immer genug früh, doch heute, heute ist es anders. Heute ist vieles anders und irgendwie weiss er noch nicht so ganz, ob er auf dem richtigen Weg ist.
Der Typ gegenüber scheint ihm nicht ganz geheuer. Schwarzer Mantel, schwarze Haare, schwarz geschminkte Augen, schwarze Handschuhe, schwarzes Armband – zusammengefasst: alles schwarz. Dunkel schaut er Hugo an. Der Mundgeruch des Typen mischt sich mit dem Parfum der blonden Tussi gegenüber. Sie ist das pure Gegenteil von Darkman, bei ihr glitzert und glänzt alles. Mobiltelefon, Ohrenringe, ihr Kleid, das einen tiefen Einblick gewährt, ihr gepudertes Gesicht, ja sogar ihre High-Heels glitzern. Sie schaut nervös durch die Gegend und blickt immer wieder auf ihr Handy, als ob sie eine wichtige Nachricht erwarten würde. Ganz anders sieht es bei ihrem Sitznachbarn aus, welcher ganz und gar nicht nervös ist, wobei man dies auch anders betrachten könnte, denn seinen iPod, der den halben Bus mit Hip-Hop-Beats beschallt, gibt ihm den Takt vor, der mit dem Kopf und den Füssen nachgefühlt werden muss. Dieser Störenfried passt der alten Dame, die wie immer ganz vorne neben dem Chauffeur sitzt, gar nicht. «Unerhört, diese Jugend! Sie haben einfach keinen Respekt!», denkt sie, rückt ihre Bluse zurecht und macht ihren Gehstock startklar. Bei der nächsten Station wird sie nämlich schimpfend den Bus verlassen. Schliesslich gehört sich so was auch nicht, was der Typ sich dort erlaubt. Doch eigentlich nervt sich die Dame schon die ganze bisherige Fahrt an der Frau, die aus der hintersten Ecke des Busses laut spricht. Sie telefoniert und man könnte meinen, die ganze Welt müsse wissen, welche Schuhe sie heute mit ihrem Best Friend Forever – oder wie sie es gerne abkürzt: «BFF» – gekauft hat. Man könnte durchaus annehmen, ihre Kollegin am anderen Ende der Leitung wäre weit weg, denn so laut wie die Frau brüllt könnte sie eigentlich auch ausserhalb des Busses mit einem Fahrrad keuchend nachfahren. Wie auch immer, die Frau scheint das Prinzip eines Mobiltelefons noch nicht ganz verstanden zu haben, denn sie schreit heiter ihre Stimmbänder aus dem Leib, als müsse sie das andere Ende der Welt erreichen.
Ohne Vorwarnung blieb der Bus abrupt stehen. Für ein Mal geht es allen Fahrgästen gleich. Sie schauen fragend in Richtung Busfahrer. «Meine Damen und Herren. Es tut mir leid, aufgrund einer Störung eines Servos der Bremsen des Busses können wir leider nicht weiterfahren, da dies die Sicherhheit aller Personen gefährden würde, die in diesem Bus mitfahren. Wir bitten um Entschuldigung.»
Die Türen öffnen sich, Hugo schreckt hoch und ein böse Vorahnung durchfährt seinen ganzen Körper. Die Schweissperlen auf seiner Stirne, die gerade eben wieder weg waren, begrüssen die Welt erneut und das Adrenalin in seinen Adern lässt ihn instinktiv aufspringen und losrennen. Leuchterketten, Schaufenster, blumengeschmückte Türen, Maroni-Stände, Dönerbuden, Starbucks-Lokale, Uhrenladen und vieles mehr scheinen an ihm vorbeizuziehen. Der Schock gibt ihm Energie und Hugo rennt wie ein Marathonläufer an der Olympiade in Richtung Bahnhof. «Gleis 3», erinnert sich Hugo und hastet die Treppen hoch. Er sieht gerade noch, wie die Türen zu gehen und wie die S-Bahn abfährt.
«Ich habs verbockt», denkt Hugo, gedankenversunken auf einer Bank sinkend. Da hört er eine vertraute Stimme «Es ist noch nicht zu spät. Der Zug fährt auf Gleis 2. Komm, Hugo!» Dieser blickt auf und schaut verschwitzt in ein ihm sehr gut bekanntes Gesicht. Lächelnd meint er: «Du warst schon immer meine Vernunft, wenn mich mein Hirn durch den Stress im Stich liess» und gab seiner Freundin einen zärtlichen, salzigen Kuss. Die beiden schliessen die Augen und hören wie ein Zug den Bahnhof verlässt…
Okay, und jetzt?
Wie ich auf die Idee für diesen Beitrag gekommen bin? Nun, ich erklärs euch kurz:
Ich wollte mir beweisen, dass ich zu jedem Bild oder zu jedem Ort eine kleine Geschichte schreiben kann. So wollte ich mich selber testen, öffnete die Seite der Top Bilder auf Pixelio, liess mir eine Zufallszahl generieren (Ergebnis: 20), wählte also das 20. Bild auf dieser Seite, liess mich vom Bild inspirieren und schrieb diesen Text.